Inside Big Data: Unsere Daten zeigen, wer wir wirklich sind

Eine Partnersuchmaschine wie OkCupid ist eine wahre Fundgrube für Daten. Allein zwischen Mai 2013 und April 2014 sind hier rund 10 Millionen Nutzer auf Partnersuche gegangen.      

Was die Nutzer über sich preisgeben, offenbart viel über die Art und Weise, wie sie andere Menschen einschätzen, was sie verbindet oder trennt.

Der durchschnittliche Nutzer beantwortet auf OkCupid etwa 300 Fragen. Die Antworten gewähren interessante und durchaus verallgemeinerbare Einsichten in menschliches Verhalten.                                                                                                                                                  

Für die folgenden Ergebnisse kamen nicht nur die Daten der OkCupid-Nutzer, sondern auch andere Datenquellen zum Einsatz.                                                                                             

Welches Alter bevorzugen Frauen bei Männern – abhängig davon, in welchem Alter sie selbst sind? Diese Frage lässt sich mithilfe von Big Data sehr präzise beantworten: Frauen finden eigentlich immer ungefähr gleichaltrige Männer attraktiv.

Rund um den 30. Geburtstag ändert sich jedoch etwas: Vor diesem Datum bevorzugen Frauen Männer, die leicht älter sind, danach Männer, die leicht jünger sind. Ab 40 verschärft sich diese Tendenz noch einmal: Es scheint, als hätten Männer mit 40 Jahren den Zenit ihrer Attraktivität erreicht.

Völlig anders sieht es bei den Männern aus, wenn sie die Attraktivität von Frauen bewerten sollen: Ob 20 oder 50 – Männer jeden Alters, so suggerieren die Zahlen, finden Frauen zwischen 20 und 23 Jahren am attraktivsten. Obwohl also die Männer selbst immer älter werden, ändern sich ihre Vorlieben nicht.

Die entsprechenden Daten wurden erhoben, indem Männern und Frauen Fotos vorgelegt wurden – die Ergebnisse entstammen also einer eher indirekten Befragung.

Sie zeigen, was sich beide Gruppen unbewusst wünschen. Das unterscheidet sich jedoch stark von dem, was sie in Fragebögen zur Partnersuche tatsächlich angeben.

Denn da suchen 44-jährige Männer keine 20-jährigen, sondern eher 30- bis 49-jährige Frauen. Tatsächlich nehmen sie aber vor allem Kontakt zu 35-Jährigen auf.                                                                                                                                                                    

Daraus entsteht ein Dilemma: Frauen wollen Männer, die mit ihnen zusammen alt werden, Männer suchen junge Frauen.                                                                                                                  

„Mathematisch gesprochen sind das Lebensalter eines Mannes und seine sexuelle Zielgruppe unabhängige Variablen: Die erste schreitet stetig fort, die zweite offensichtlich nicht.“

Bei OkCupid können sich Nutzer gegenseitig mit bis zu fünf Sternen bewerten. Interessant ist, dass viele Mitglieder mit wenigen Sternen für einige Mitglieder besonders attraktiv erscheinen. Einige fühlen sich durch die Makel abgeschreckt, andere fühlen sich aber besonders zu ihnen hingezogen.

Wenn Frauen in der Datenbank einen Mittelwert von drei Sternen erreichen, dann kann dieser Wert sehr unterschiedlich zustande kommen: Entweder sie wurden von sehr vielen Männern mit drei Sternen bewertet, oder die Hälfte aller Männer fand sie supersexy und die andere war vollkommen abgeschreckt.

In beiden Fällen ist der Mittelwert genau gleich. Diese Streuung der Daten um den Mittelwert nennt man Varianz. Bei der Partnersuche hat sich herausgestellt, dass Frauen mit einer hohen Varianz deutlich mehr Anfragen bekommen als andere, die den gleichen Mittelwert mit einer geringeren Varianz erreichen.

Das liegt vermutlich daran, dass die Zahl der 5-Sterne-Bewunderer deutlich höher ist – und das einfach interessanter ist als die durchschnittlich bewerteten Frauen. Profilfotos dürfen also polarisieren – mit einem lustigen Gesichtsausdruck, sichtbaren Piercings oder einem Toast in der Hand.

Das kann sogar für den Erfolg der Kontaktanzeige entscheidend sein. Wer übrigens auf der Suche nach der großen Liebe ist, tut gut daran, nicht zu flunkern, weil er ansonsten die falschen Partner zugewiesen bekommt.

Wer potenzielle Partner in der Datenbank gefunden hat, nimmt im Idealfall zu ihnen Kontakt auf. Wie das geschieht? Auch darüber geben die Datenbanken Auskunft.

Es gibt viele Nutzer, die mehrere Seiten lange Kontaktanfragen losschicken, für die sie Stunden brauchen, andere sind kurz, knapp und spontan. Und dann gibt es noch die Copy-and-paste-Fraktion, die selbst erdachte oder abgekupferte Kontaktmails gleich an mehrere potenzielle Partner schickt.

Sie sind nicht originell, sie bekommen auch rund 25 Prozent weniger Rückantworten, aber sie sind wahnsinnig effizient: Das Verhältnis von Aufwand und Zahl der Antworten ist trotz des einfallslosen Kopierens sehr gut.

Ein widersprüchliches Verhalten zeigten die OkCupid-Nutzer, als die Betreiber der Plattform ein Experiment unternahmen. Unter dem Motto „Liebe ist blind“ wurden alle Profilbilder für einen Tag deaktiviert. Eine App generierte stattdessen Blind Dates.

Die dabei zustande gekommenen Paare hatten kein Bild vom anderen, bis sie sich live im Café trafen. Die App erlaubte auch die Bewertung des Treffens. Dabei kam heraus, dass sowohl Frauen als auch Männer mit ihren Treffen sehr zufrieden waren, unabhängig von der Attraktivität der anderen Person

Mit eingeschaltetem Profilbild sieht das Ganze schon wieder anders aus: Wenn der Mann weniger attraktiv ist als die Frau, beantwortet sie die Anfrage eher selten. Ist er attraktiver als sie, übertrifft ihre Antworthäufigkeit einen Normalwert um ein Vielfaches.

Die Männer zeigten ähnliche Werte. Das Kriterium des Aussehens spielt im Internet also offenbar eine große Rolle bei der Selektion – beim Kennenlernen im echten Leben ist es aber gar nicht mehr so wichtig.

Dinge wie Aussehen, eine bestimmte politische Ausrichtung oder Konfession sind für eine Beziehung oftmals bedeutungslos – trotzdem werden sie von den Nutzern eingefordert. Der „Liebe-ist-blind-Tag“ förderte zwar interessante Daten zutage, wurde aber nie wiederholt.

Würde man den Algorithmus von OkCupid gewähren lassen und ihm nur die inneren Werte der Männer und Frauen anvertrauen, die einen Partner suchen, würde die Hautfarbe eine ebenso große Rolle spielen wie das Sternzeichen: gar keine. Alle würden ungefähr gleich gut miteinander auskommen.

In den USA gibt es aber vier Gruppen von Hautfarben: Asiaten, Weiße, Schwarze und Latinos. Werden die jeweiligen Präferenzen für die unterschiedlichen Gruppen miteinbezogen, offenbaren sich große Unterschiede.

Egal ob man die Daten von OkCupid oder anderen Datingplattformen nutzt: Immer werden schwarze Frauen von Männern anderer Hautfarben deutlich abgelehnt. Frauen zeigen eine hohe Akzeptanz für Männer ihrer eigenen Hautfarbe und wünschen sich als zweite Wahl am liebsten weiße Männer.

Eine weitere Linie trennt die Schönen vom ganzen Rest: Genauso wenig wie für seine Hautfarbe kann man etwas für sein Aussehen, bei der Bewertung spielt es aber eine große Rolle. Besonders für Frauen: Frauen auf den vorderen Plätzen der Attraktivitätsskala erhalten überproportional viele Angebote.

Das zeigt sich übrigens auch im Berufsleben: Während bei Männern das Aussehen kaum Einfluss auf die Einstellungschancen hat, lässt der Faktor Attraktivität bei Frauen die Erfolgschancen exponentiell in die Höhe schießen.

„Bei OkCupid verläuft eine der tiefsten Unterscheidungen, vielleicht die tiefste überhaupt, zwischen den Schönen und allen anderen.“ Wer schön ist, ist auch gut. Dieser Mythos scheint sich überall durchgesetzt zu haben, auch in Bereichen, in denen er oft vollkommen nutzlos ist, wie in der Arbeitswelt.

Das Problem: Die Schönheitsideale – auch völlig abwegige, wie superdünn zu sein – grassieren in den sozialen Netzwerken und führen bei verunsicherten Mädchen zu psychischen oder sogar physischen Störungen.

Wie beschreiben sich die Nutzer von OkCupid selbst? Diese Frage lässt sich mit einer Analyse der Worthäufigkeiten beantworten. Da protzen die weißen Männer und auch Frauen mit ihren blauen Augen, den blonden – bei Frauen auch roten – Haaren und einer erstaunlichen Vorliebe für Outdoor-Aktivitäten und Lagerfeuer.

Asiaten erwähnen am häufigsten, dass sie „für einen Asiaten ziemlich groß“ seien, Latinos fallen durch ihre Erwähnung von lateinamerikanischen Musikstilen auf und Schwarze schreiben sehr häufig über schwarze Künstler wie Jill Scott, Jamie Fox oder Luther Vandross.

Hinsichtlich der sexuellen Orientierung bietet Big Data mehr Erkenntnisse als offizielle Anfragen. Fahndet man nach der Vorliebe für homosexuelle Pornografie, kommt dabei heraus, dass in den USA ungefähr 5 Prozent der Suchanfragen in diese Richtung gehen, also auf 20 heterosexuelle Männer ein Homosexueller kommt.

„51 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer hatten bereits einmal ein homosexuelles Erlebnis oder würden es gerne ausprobieren.“ Offiziell sind aber in Staaten wie North Dakota nur 1,7 Prozent der Männer schwul. Schlussfolgerung: Weitere 3,3 Prozent sind es ebenfalls, verheimlichen es aber.

Die Frage, ob heterosexuelle Männer und Frauen schon jemals ein sexuelles Erlebnis mit einem gleichgeschlechtlichen Partner hatten, offenbart Folgendes: 33 Prozent der Frauen und nur 13 Prozent der Männer bejahen die Frage und 17 Prozent der Frauen sowie 5 Prozent der Männer würden es gern einmal ausprobieren.

Entscheidet der Wohnort darüber, wie man sich fühlt und was man denkt? Big Data kann auch bei der Beantwortung dieser Frage helfen, denn die Daten können geografisch zugeordnet werden.

Auf die Frage „Sollte es verboten werden, die amerikanische Flagge zu verbrennen?“ offenbart sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: Den Städtern macht das nichts aus, in den ländlichen Gebieten sieht das ganz anders aus.

Sogar die Häufigkeit der täglichen Körperpflege lässt sich erforschen. Überraschendes Ergebnis: Ungeachtet des Klimas ist man in New Jersey offenbar pingeliger mit der Hygiene als in den umliegenden Staaten – und in Vermont ist es den Einwohnern ziemlich egal, ob sie müffeln oder nicht.

Auf die Frage „Sex oder Liebe?“ gibt es eine überraschende Antwort: Im Norden des Mittleren Westens ist man offenbar besonders triebgesteuert. Das entspricht so gar nicht dem konservativen Klischee.

„Google ist fast nebenbei zum Register des kollektiven Unbewussten der Menschheit geworden.“

Die Daten, die wir im Netz hinterlassen, legen eine Spur aus Brotkrumen, die es den Datensammlern ermöglichen, uns sehr genau auf die Schliche zu kommen.                                                                                                                                                                      

Algorithmen können anhand von Facebook-Likes Geschlecht, Alter, sexuelle Neigung, Drogenkonsum und politische Einstellungen zuverlässig berechnen.                                                                                                             

Facebook gibt es erst seit wenigen Jahren. Wie wird sich unsere Welt verändern, wenn eine Generation ganz mit dem Internet aufwächst und dann, zum Beispiel beim Eintritt in das Erwerbsleben, bereits vollkommen durchleuchtet werden kann?

Und zwar ohne die Option, nicht mitzumachen, zum Beispiel beim Einstellungstest oder Assessment-Center. Zweifellos gehört dies zu den dunklen Seiten von Big Data.