„Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.“ Was aber ist das eigentlich: Glück? Keiner kann es definieren.

Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat es auf den Punkt gebracht: Wenn man einen Menschen mit Glück überhäuft, so wird er doch alles für irgendwelche Flausen aufs Spiel setzen – und sei es nur, um sich undankbar zu zeigen. Zu viele glückliche Tage sind eben schwer zu ertragen, wie es der Volksmund sagt.

Ein Blick in die Weltliteratur offenbart uns: Nicht Glück, sondern Unglück, Katastrophen, Sünde und Verbrechen interessieren das Publikum. Was wir also brauchen, ist nicht Glück, sondern Unglück. „Machen wir uns nichts vor: Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit?“

Durch den Umgang mit anderen Menschen kann jeder unglücklich werden. Das ist allgemein bekannt. Der Chef ist gemein, der Partner ist lieblos. Alles klar: Die anderen sind immer schuld.                                               

Aber wie schaffen es so viele Menschen, ganz mit sich allein unglücklich zu werden? Wie machen sie sich selbst zum Feind?

Die erste goldene Regel, um diese Kunst zu beherrschen, lautet: Ignorieren Sie Ansichten und Meinungen Ihrer Mitmenschen und folgen Sie ausschließlich Ihrem eigenen Urteil.  „Das wichtigste an einer fest gehegten Idee ist, dass sie ihre eigene Wirklichkeit erschaffen kann.“

Wer immer nur seine eigenen Überzeugungen als Maßstab anlegt, wird ein Könner auf dem Gebiet des Unglücklichseins. Denn er wird ständig von der Wirklichkeit enttäuscht werden.

Der Glückliche zuckt mit den Schultern, wenn er die Realität anders geartet vorfindet, als sein Ideal fordert – und arrangiert sich. Der Unglückliche rebelliert hingegen.                                                    

Wenn ihm jemand einen guten Vorschlag macht, wird er ihn schon allein deswegen verwerfen, weil er ihm von jemand anderem angetragen wurde.

Wer es in der Kunst des Unglücklichseins zur Meisterschaft bringen will, geht sogar noch einen Schritt weiter: Er verwirft sogar die Empfehlungen, die er sich selbst gibt. Wie schon die alten Römer wussten: „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin.“

Angeblich heilt die Zeit alle Wunden. Als Unglücksanwärter sollten Sie sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie müssen nur die Vergangenheit ordentlich verklären.                                               

       Der Vergleich mit der Gegenwart wird Ihnen dadurch als eine nie versiegende Quelle des Elends erscheinen.

Sie denken voller Trauer an eine gescheiterte Beziehung? Machen Sie sich ruhig selbst glauben, gegen alle vernünftigen Überlegungen, dass sich die Beziehung hätte retten lassen!               

Hätte sie zwar nicht – aber glauben Sie es ruhig. Am besten, Sie suchen sich einen neuen Partner, der exakt so ist wie der alte.

Oder tragen Sie den Satz, dass früher alles besser war, als Mantra vor sich her. Damit werden Sie auch garantiert keine Freude an der Gegenwart haben.

Stattdessen machen Sie es wie die biblische Frau Lot: Blicken Sie gegen alle Warnungen zurück – und erstarren Sie zur Salzsäule.

Die Vergangenheit taugt tadellos, um daraus jetziges Unglück zu gewinnen – Besonders wenn man Fehler von früher für schlechte Angewohnheiten von heute verantwortlich macht. Sie sind Alkoholiker? Zieren Sie sich nicht, Ihren ersten Schluck Bier zu verteufeln, statt heute etwas an Ihrem Konsum zu ändern.

Sie finden in der Vergangenheit immer irgendjemanden oder irgendetwas, dem Sie die Schuld in die Schuhe schieben können: Eltern, Lehrer, Ärzte, Gott, das Schicksal, Ihre Gene usw. Ganz wichtig: Beginnen Sie bloß nicht zu glauben, dass Sie jetzt noch etwas daran ändern können.

Eine gute Möglichkeit, sich mithilfe der Vergangenheit unglücklich zu machen ist es, möglichst bewährte Verhaltensweisen festzuhalten und sein Verhalten bloß nicht an die aktuelle Situation anzupassen. Wenn Ihre alten Strategien nicht zum Erfolg führen, haben Sie sich eben nicht ausreichend angestrengt.

Wichtig: Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, es könnte noch andere Lösungen als Ihre geben, sonst finden Sie Ihren Schlüssel am Ende doch noch.

Ein Mann möchte ein Bild aufhängen. Er hat einen Nagel, aber ihm fehlt der Hammer. Sein Nachbar hat einen solchen, und der Mann beschließt deshalb, ihn darum zu bitten.

Kurz bevor er sich zum Nachbarn auf den Weg macht, überkommen ihn Zweifel. Er entsinnt sich, dass der Nachbar ihn gestern so seltsam flüchtig gegrüßt hat. Möglicherweise war er in Eile.                 

Eine andere Möglichkeit ist aber, dass der Nachbar böswillig gehandelt hat und einen Groll gegen ihn hegt.

Wahrscheinlich ist er eingebildet, weil er einen Hammer besitzt. Solche Menschen können einem das Dasein vergällen! Der Mann stürmt zum Nachbarn, läutet und brüllt ihm ins Gesicht: „Behalten Sie doch Ihren Hammer!“

Was da im Kopf des Heimwerkers abgelaufen ist, gehört zu den herrlichsten Möglichkeiten des Unglücklichseins. Fantasieren Sie nur lange genug darüber, was alles Schlimmes hinter Ihrem Rücken vor sich geht – und schon können Sie nicht mehr zwischen Einbildung und Wirklichkeit unterscheiden.

Ins Positive verkehrt, hat das schon der französische Apotheker Émile Coué beschrieben: Man solle sich das eigene Wohlbefinden einfach unermüdlich herbeireden. Das funktioniert natürlich auch umgekehrt. Sie können sich mit einigen Lerntechniken darauf konditionieren, alles wie der Mann mit dem Bild zu sehen.

Objektiv können Sie das zwar nicht nachweisen – aber ein Abgleich mit der Wirklichkeit ist ohnehin nicht hilfreich. Übrigens: Wenn Ihre Freunde Sie mit aller Macht von Ihren Ansichten abbringen wollen, ist genau das ein Beweis, dass Sie Recht haben.

Ein Mann klatscht alle paar Sekunden in die Hände. Ein anderer fragt ihn, warum er das tut. Der Mann gibt an, mit dem Klatschen Elefanten verscheuchen zu wollen.

Der Fragende merkt an, dass es hier doch weit und breit keine Elefanten gebe. Darauf der Klatscher: „Na also! Sehen Sie!

Die kleine Geschichte bringt es auf den Punkt: Manchmal kann die Lösung das Problem unendlich verlängern. Dann ist die Lösung sozusagen selbst das Problem oder sorgt durch ihre dauerhafte Anwendung dafür, dass man ein Problem erwartet, wo eigentlich keines (mehr) ist.

Gefahrenvermeidung kann also eine Gefahrenverlängerung bedeuten. Ähnlich ist es bei den Gefahren, die im Alltag lauern: Raubüberfälle, Autoabgase, herabstürzende Teile von Raumsonden. Wer sich davor schützen will, indem er im Bett bleibt, ist auch nicht sicher. Er kann sich zum Beispiel wund liegen.

Die Vermeidung jeder Gefahr kann zu zwanghaftem Handeln führen, das garantiert unglücklich macht. Vergessen Sie also nie das Desinfektionsmittel, wenn Sie mitten im Konzert auf eine fremde Toilette müssen, und überzeugen Sie sich fünfmal, ob Sie die Haustür auch wirklich abgesperrt haben.

Wenn Ihnen Ihr Horoskop prophezeit, dass Sie heute einen Unfall haben werden und Sie dann tatsächlich in einen solchen verwickelt werden, sehen Sie sich in Ihrem Glauben an die Schicksalsmacht bestätigt.  Aber: Hätten Sie den Unfall auch gehabt, wenn Sie von der Prophezeiung nichts gewusst hätten?

Viele Dinge treffen gerade deshalb ein, weil wir einer Vorhersage glauben und dann versuchen, den Lauf des Schicksals aufzuhalten. Angenommen, Sie erwarten, dass andere hinter Ihrem Rücken über Sie tuscheln – dann werden Sie fortan niemandem mehr trauen und sich selbst in Isolation manövrieren.

Die Prophezeiung erschafft sich ihre eigene Wirklichkeit – und Sie selbst sind schuld daran. Das Prinzip funktioniert auch in größerem Maßstab: Je mehr aufgerüstet wird, um sich vor Krieg zu schützen, desto höhere Militärausgaben werden auch die Nachbarstaaten haben – der Krieg ist dann irgendwann unvermeidlich.

Die Prophezeiung der Ereignisse führt zum Ereignis der Prophezeiung.

Der Kommunikationsforscher Gregory Bateson stellte fest, dass jede Aussage sowohl eine Objekt- als auch eine Beziehungsebene habe. In der Kommunikation mit anderen Menschen, am besten dem eigenen Partner, führt dieses Gesetz sehr leicht zu großem Unglück.

Beispiel: Ein Mann bekommt von seiner Ehefrau Cornflakes zum Frühstück vorgesetzt. Objektiv hasst er Cornflakes, möchte aber die Beziehung zu seiner Frau mit einem Satz wie „Ich mag keine Cornflakes“ nicht gefährden.

Er isst sie also brav und nimmt sich vor, kurz vor Ende der Packung ehrlich zu erklären, dass sie keine neue Packung kaufen soll.

Doch seine Frau hat seine „Liebe“ zu Cornflakes längst erkannt und eine neue Packung besorgt. Irgendwann ist dann die Chance endgültig dahin, das Missverständnis noch korrigieren zu können.

Kommunikation auf der Objektebene ist einfach, auf der Beziehungsebene allerdings voller Fallstricke. Deshalb sollten Sie sich unbedingt die „Illusion der Alternativen“ als Quelle herrlicher Streitereien angewöhnen.

Sie geht so: Offerieren Sie Ihrem Partner oder anderen lieben Menschen zwei Alternativen. Wählt Ihr Gegenüber eine davon, deuten Sie dies so, als habe ihm die andere nicht gefallen. Ihr Partner kann sich, wie auch immer er es anstellt, nicht richtig verhalten, sodass Sie immer einen Grund für einen Streit haben.

Ein wirksamer Störfaktor in Beziehungen besteht darin, dem Partner nur zwei Möglichkeiten zur Wahl zu geben und, sobald er eine wählt, ihn zu beschuldigen, sich nicht für die andere entschieden zu haben.

Noch toller können Sie es mit der „Sei spontan!“-Paradoxie treiben. Logisch betrachtet kann man niemanden dazu auffordern, spontan zu sein.

Auf Befehl etwas spontan zu tun, ist ebenso unmöglich, wie etwas vorsätzlich zu vergessen oder absichtlich tiefer zu schlafen.

Die Mutter, die ihren Sohn dazu auffordert, dass er seine Hausaufgaben doch bitte gerne machen soll, bringt ihn damit in eine unmögliche Situation. Man kann nicht auf Befehl seine Gefühle ändern. Wenn es der Sohn aber nun nicht schafft, seine Hausaufgaben gerne zu machen, wird er die Schuld bei sich selbst suchen.

Liebe erscheint dem Unglücksaspiranten als besonders problematisch. Er kann nämlich nicht begreifen, dass er von anderen geliebt oder auch nur geschätzt wird. Es fehlt ihm das Selbstwertgefühl, um sich auch nur vorstellen zu können, andere Menschen fänden ihn prima.

Groucho Marx sagte einmal den denkwürdigen Satz, dass er keinem Klub beitreten würde, der Leute wie ihn aufnimmt. Demjenigen, der sich selbst nicht lieben kann, erscheint es deshalb auch hochgradig verdächtig, wenn es andere können.

Wer einen liebt, der keine Liebe verdient, mit dessen Innenleben stimmt etwas nicht.