Gefühlte Wahrheit von Sebastian Herrmann

Die Emotionen spielen eine wesentliche Rolle bei der Bildung persönlicher Ansichten. Erst danach begeben wir uns auf die Suche nach Fakten, die zu diesen Gefühlen passen und die Proto-Meinung absichern und aushärten zu lassen.

Unsere ganze Wahrnehmung richtet sich schließlich danach aus, gebildete Ansichten aufrechtzuerhalten: Wir registrieren nur noch jene Vorgänge, die zu unseren Erwartungen und Ansichten passen.

Es reichen weniger als 100 Millisekunden aus, um eine Person als vertrauenswürdig, aggressiv, fröhlich, maskulin, feminin, dominant oder zurückhaltend zu beurteilen.

Truthiness: Eine Behauptung muss sich nur wahr anfühlen. Ob sie auch wahr ist, spielt eine untergeordnete Rolle, Hauptsache es handelt sich um eine gefühlte Wahrheit.

Affektheuristik nennen es Psychologen, wenn sich Urteile aus Gefühlen bilden. Heuristiken sind mentale Faustregeln, nach denen Menschen intuitiv denken und schließlich handeln.

Kognitive Leichtigkeit: Was einem leicht fällt, fühlt sich für Menschen gut und richtig an.

Schlechte Stimmung erhöht die Neigung zum Skeptizismus und verbessert die Fähigkeit, Mythen und Fakten zu unterscheiden.

Unsere Meinungen und unser Weltbild werden wesentlich von unseren Wünschen, Sehnsüchten, unseren Ängsten und Hoffnungen, von unserem Selbstbild und unserem Umfeld geformt.

Wenn wir unsere Meinungen & Ansichten formulieren, handelt es sich im Wesentlichen um sog. Post-hoc-Erklärungen, also um nachträgliche Rechtfertigungen. Erst steht die Meinung, dann beginnt die bewusste Suche nach Gründen, um diese Intuitionen auch abzusichern.

Es kostet enorme Mühe, das eigene Denken zu durchschauen und genau den Finger darauf zu legen, welche Fakten eigentlich die Grundlage der eigenen Überzeugungen sein könnten.

Es gibt 5 moralische Fundamente, die das politische Empfinden der meisten Menschen bestimmen: Fürsorge/Leid, Fairness/Betrug, Loyalität/Verrat, Autorität/Subversion und Reinheit/Verschmutzung

Wer aber nicht nachempfinden kann, der kann auch kein echtes Verständnis und keine echte Nähe zu einem anderen empfinden.

Unterstützende Informationen nehmen Menschen meist ohne Prüfung als korrekt und besonders wichtig hin. Gegenargumente werden hingegen bezweifelt und weitere Beweise gefordert.

Wir denken uns Argumente aus, warum wir auf der richtigen Seite stehen und liefern damit die nachträglichen Erläuterungen für unsere gefühlten Wahrheiten.

Auch schlaue Menschen glauben oft großen Unfug. Sie sind nur sehr geschickt darin, diesen Unfug zu rechtfertigen und zu verkaufen.

Die anfängliche Abwehr gegen einst empörende Aussagen reduziert sich, sie wird nachlässig - alleine schon deshalb, weil diese Behauptungen nicht mehr als neu und ungewöhnlich sind.

Fremdes und Unbekanntes nehmen Menschen meist als Bedrohung oder Quelle von Unsicherheit wahr.

Mere-Exposure-Effekt: Regelmäßiger Kontakt stellt Vertrautheit her und Vertrautheit erzeugt Zuneigung.

Wer immer dem gleichen Reiz ausgesetzt ist, dessen Einstellung dazu verändert sich im Laufe der Zeit zum Positiven.

Weil einem das spiegelverkehrte Bild von einem selbst vertrauter ist, mögen wir uns auf Fotos lieber, wenn diese gespiegelt werden.

Vertrautheit signalisiert, dass etwas in der Vergangenheit ja auch gut gegangen ist.

Menschen vergrößerten ihre Überlebenschancen, wenn sie auf unbekannte Reize mit Flucht oder wenigstens Vorsicht reagierten.

Vertrautheit und positive Gefühle erhöhen die sog. kognitive Leichtigkeit, mit der Menschen Reize verarbeiten. Man muss nicht so viel nachdenken und sich weniger anstrengen, wenn man etwas schon kennt.

Eine zuverlässige Methode, Menschen dazu zu bringen, falsche Aussagen zu glauben, ist häufiges Wiederholen, weil Vertrautheit sich nicht leicht von Wahrheit unterscheiden lässt.

Fremde Menschen werden stets im Vergleich mit bekannten bewertet. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit des Beobachters automatisch auf die Aspekte, in denen sich die Fremden von einem selbst unterscheiden.

Was wir nicht kennen, finden wir erstmal seltsam. Die Menschen neigen zur Neophobie, zu einer grundsätzlichen Vorsicht oder Abneigung gegen das Neue.

Ein jugendlicher mit Smartphone wird von den meisten als junges Opfer einer perfiden Technik wahrgenommen und nicht etwa selbstständiger junger Erwachsener, der sich mithilfe des Gerätes in einer Stadt zurechtfindet.

Wir richten unsere Aufmerksamkeit bei neuen Dingen oder unbekannten Menschen auf die furchteinflößenden, seltsamen Besonderheiten, nicht aber auf die Gemeinsamkeiten.

Häufiger Kontakt verändert die Wahrnehmung. Dann richtet sich der Fokus hin auf die Gemeinsamkeiten und weg von den Unterschieden.

Mere-Exposure-Effekt: Das Vertraute mögen wir. Das Neue hingegen betrachten wir mit allzu kritischem Blick.

Belief Perserverance: Selbst wenn jemand weiß und verstanden hat, dass eine Geschichte falsch ist, neigt er trotzdem dazu, daran zu glauben.

Wenn der Mensch einmal an etwas glaubt, dann will er seine Haltung höchst ungern aufgeben.

Fühlt sich eine Aussage vertraut an, erzeugt alleine das eine Illusion von Wahrheit - unabhängig von ihrem Inhalt.

Es kostet geringere geistige Mühe, eine bekannte Information zu verarbeiten. Je weniger Anstrengung nötig ist, desto leichter akzeptieren Menschen eine Aussage als zutreffend.

Vertrautheit fördert das Gefühl von Wahrheit.

Um Lügen aus dem Kopf zu verbannen, müssen sie überschrieben werden.

Kognitives Bedürfnis: Wir wünschen uns, dass Dinge abgeschlossen werden, Geschichten zu Ende erzählt und Aufgaben erledigt werden.

Die Wirkung einer Lüge verblasst erst, wenn wir erfahren, wie es stattdessen gewesen ist.

Die Korrektur von Fehlinformationen hinterlässt immer eine Lücke im Geist. Diese muss gefüllt werden, andernfalls bleibt die Lüge haften, weil sie sich weiterhin vertraut anfühlt.

Wenn Probleme seltener werden, betrachten wir automatisch mehr Umstände als problematisch.

Wer echte Probleme hat, findet oft weniger Anlass zur Klage.

Wo die Cholera wütet, klagen wohl kaum Menschen über eine Laktoseintoleranz.

Geht Gewalt zurück, gelten zuvor harmlose Umstände nun als aggressiv und gewalttätig.

1981 lebten noch 44% der Menschen in lebensbedrohlichen Verhältnissen. Bis 2015 waren es weniger als 10%.

Langfristige Trends zum Besseren erzeugen keine dramatischen Bilder, sie liefern kein überzeugende Narrativ, sie entwickeln sich im Stillen und verfehlen die Wahrnehmung der Menschen.

Die menschliche Psyche reagiert sehr viel stärker auf negative Informationen als auf positive.

Menschen haben einen Hang dazu, sich vor allem mit den schlechten Dingen des Lebens zu beschäftigen.

Menschen reagieren stärker auf schlechte als auf gute Nachrichten.

Die Aufmerksamkeit für negative Ereignisse steigt enorm an, je außergewöhnlicher und seltener diese sind.

Es muss still sein, um den Kühlschrank surren zu hören.

Menschen sind Meister darin, unangenehme Informationen auszublenden - was uns herausfordert, wird ignoriert.

Wenn etwas unsere Meinung infrage stellt, die uns wichtig sind, kostet es mehr Überwindung, sich diesen Aussagen anzutun.

Die Gegenseite hört gar nicht zu und wir hören nicht zu, was die Gegenseite sagt, weil es weh tut, weil es zu anstrengend ist und nur miese Gefühle erzeugt.

Widerspricht ein Text bestehenden Ansichten, wirft dies sämtliche Verteidigungsreflexe an.

Gedächtnis-Boomerang-Effekt: StellenInformationen Einstellungen infrage, fahndet ein Leser automatisch in seinem Geist nach Inhalten, mit denen er seine Ansichten verteidigen kann.

Je vehementer eine Meinung vertreten wird, desto brüchiger ist meist das Fundament aus Fakten, auf dem diese ruht.

Gerade Anfänger überschätzen sich selbst am meisten und gehen damit ihrem Umfeld auf die Nerven.

Die meisten Menschen liegen weit daneben, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen sollen. Sie halten sich für besser als sie tatsächlich sind oder sie trauen sich weniger zu, als sie tatsächlich können.

Es zählt zu den großen geistigen Leistungen, wenn es einer Person gelingt, sich über ihre Wissenslücken bewusst zu werden.

Selbsterbrachte Leistungen fallen einem leichter ein als die Beiträge der anderen.

Menschen betrachten die Dinge nicht objektiv, sie sehen das, was sie sich zu sehen wünschen und richten ihr Denken nach diesen Wünschen aus.

Motivated Reasoning beschreibt den menschlichen Drang, das zu akzeptieren und kognitiv zu verarbeiten, was zu unseren Wünschen und Einstellungen passt.

Aufwand provoziert Ablehnung.

Wann immer sich ein Geist anstrengen muss, erkennt er Unsinn rascher, als wenn er ihm in leicht konsumierbarer Form dargereicht wird.

Zu viele Möglichkeiten verschrecken den durchschnittlichen Kunden.

Mit der Zahl der Möglichkeiten verringern sich die Unterschiede zwischen attraktiven Optionen - gleichzeitig steigt die Informationsmenge, die für eine optimale Wahl durchgeackert werden müsste. Das erhöht die kognitive Last und schreckt Menschen ab.

Nicht alles, was einfach klingt, ist automatisch wahr.

Meist hat man die Ansicht, man leiste mehr als der andere. Weshalb? Weil einem natürlich nur in den Sinn kommt, was man selbst gemacht hat.

Eine Erkältung hat nichts mit Kälte zu tun. Für die Krankheit sind Viren verantwortlich, nicht die Temperatur.

Dass sich im Winter Erkältungen häufen, liegt daran, dass wir in dieser Zeit mehr Zeit mit Menschen in geschlossenen, ungelüfteten Räumen verbringen, wo sich Viren besser verbreiten können.

Ob verfügbare Gedanken die Realität widerspiegeln, ist vollkommen egal. Ihre Wirkung ergibt sich allein daraus, dass sie verfügbar sind.

Confimation Bias Effekt (Bestätigungsfehler): Statt nach allen relevanten Infos zu forschen, fragen wir uns: Was spricht dafür, dass ich recht habe? Sobald wir eine Meinung zu einem Thema haben, wollen wir sie stärken und verteidigen.

Fakten sind Menschen nicht sonderlicht wichtig. Relevant ist für uns vielmehr, unser Weltbild aufrechtzuerhalten und frühere Entscheidungen nicht infrage stellen zu müssen.

Sich selbst Fehler einzugestehen, tut weh. Um diesen Schmerz zu vermeiden, richten wir unsere Aufmerksamkeit reflexartig auf Informationen, die uns scheinbar recht geben.

Menschen sehen, wonach sie suchen.

Man sucht und beachtet ausschließlich Aussagen, mit denen sich die eigene Ausgangshypothese belegen lässt.

Die Wahrscheinlichkeit, mit der Menschen nach bestätigenden Informationen suchen liegt etwas doppelt so hoch wie diejenige, gegenteilige Informationen wenigstens zu beachten.

Weil wir im Digital-Zeitalter in einem erdrückenden Überfluss an Informationen leben, ist es so leicht wie niemals zuvor, scheinbare Bestätigung für jede noch so absurde Position zu finden.

Wir sehen, was wir sehen wollen.

In Studien wurde beobachtet, dass ein Gesprächspartner als besonders kompetent gilt, wenn er gleicher Meinung ist.

Informationen gelten als besonders glaubwürdig, aussagekräftig und bedeutend, wenn sie die Ansichten des Zuhörers bestätigen.

Wir sind soziale Wesen und ordnen uns automatisch verschiedenen Gruppen zu, insbesondere, wenn sich diese Gruppen in Abgrenzung zu einem Feind bilden.

Ein externer Gegner stellt die effektivste Methode dar, um eine Gruppe zu einem starken Wir-Gefühl zusammenzuschweißen.

Minimalgruppen-Experimente zeigten, dass bereits zufällige Merkmale ausreichen, dass sich Menschen in Gruppen sortieren.

Menschen neigen dazu, Gleichgesinnte in übertrieben positivem Licht zu betrachten und Fremde misstrauisch zu beäugen.

Grundsätzlich halten Menschen Informationen eher für korrekt, wenn sie zu ihren Ansichten passen und diese bestätigen.

Die Quelle entscheidet über Ablehnung oder Zustimmung.

Wenn der falsche Mensch etwas Richtiges sagt, dann ist das Gesagte automatisch wertlos.

Attacken auf ihr positives Selbstbild wehren Menschen ab, indem sie Angreifer lächerlich machen und ihre eigenen Haltungen mit umso größerer Vehemenz verteidigen.

Wer anderen Menschen ihre Illusionen und Überzeugungen nehmen will, erntet vor allem Abwehr, Kritik und Empörung. Außerdem sorgt er vermutlich dafür, dass die von ihm angegriffenen Meinungen aushärten und mit noch größerer Vehemenz vertreten werden.

Kritik anzunehmen bedeutet, Fehler anzuerkennen.

Partnerschaften seien besonders stabil, wenn Lob und Kritik in einem Verhältnis von 5:1 stünden. Für jedes harte Wort sollten also fünf nette geäußert werden.

Mit Kritik, Vorwürfen und Ermahnungen gelingt es selbst den beharrlichsten Eltern nicht, ihren Nachwuchs zu Wohlverhalten anzutreiben.

Es ist die Aussicht auf Belohnung, die Menschen handeln lässt, weniger die Vermeidung eines Unglücks.

Herabwürdigende Kritik stößt offene Türen zu.

Die Meinung der anderen beeinflusst maßgeblich unser Denken und Fühlen. Wir übernehmen - oft, ohne uns dessen bewusst zu sein-

Als Einzelner von der Haltung einer Gruppe abzuweichen und das auch öffentlich zu äußern, ist mit hohen sozialen Kosten verbunden.

Je mehr Menschen eine Haltung vertreten, desto massiver ist auch der Druck, mit dem ein einzelner Abweichler zu ringen hat.

Eine offensichtlich falsche Mehrheitsmeinung mag vielleicht zunächst aus reinem Konformitätsdruck übernommen werden, um sich selbst eine unangenehme Situation zu ersparen. Langfristig aber könnten daraus echt Überzeugungen heranwachsen.

Wir glauben an etwas, weil viele daran glauben.

Sich Gegenargumenten auszusetzen hilft, Schwächen in der eigenen Position zu identifizieren.

Daten, Fakten und Logik lassen sich ignorieren, ausblenden und missachten, denn sie sprechen das bewusste, rationale Denken an. Geschichten aber rühren an die Emotionen, an das Mitgefühl. Sie wecken starke Gefühle, die sich nicht meiden lassen.

Was wir am wenigsten aushalten, sind Ungewissheit oder Ambivalenz. Wenn etwas keinen Sinn ergibt, wollen wir eine Erklärung.

Menschen sehen Muster und Verbindungen, wo keine sind und verknüpfen diese zu Geschichten.

Es geht darum, die Komplexität der Welt zu reduzieren, das Gefühl des Verstehens und der persönlichen Handlungsmacht zu erlangen.

Es sind

Geschichten müssen nicht stimmen, um Menschen zu überzeugen. Sie müssen nur packend sein und zu den Menschen sprechen.

Um Menschen zu motivieren, braucht es positive Visionen.

Das Zuckerbrot wirkt meist effektiver als die Peitsche.

Die Hoffnung auf Beförderung motiviert, die Angst vor Kündigung lähmt.

Schlechte Nachrichten wirken stärker, sie gelten automatisch als besonders glaubwürdig - und sie trüben die kollektive Vorstellung vom Zustand der Welt.